Warum wir keine One-Trick-Ponys sind

Kleines Manifest gegen monothematische Erwartungshaltungen

Wir leben in einer Zeit, in der Selbstständige, frei Schaffende, Künstler:innen nicht mehr ohne Online-Auftritt auskommen. Sichtbarkeit ist zur Voraussetzung geworden, und die Werkzeuge dafür sind so zugänglich wie nie. Doch absurderweise führt diese große Freiheit häufig geradewegs in eine neue Form der Selbstverengung. Denn hinter der vermeintlichen Freiheit verbergen sich Konformitätszwang und Algorithmustyrannei.


Ein Geständnis gleich vorweg: In den geschlagenen ersten zwölf Jahren meiner Selbstständigkeit war es tatsächlich so, dass ich überhaupt keine Website hatte. Geschweige denn einen professionellen Social-Media-Auftritt. Und das als Texterin! Allerdings verstaubt irgendwo noch ein LinkedIn-Account, der damals meine berufliche Existenz bezeugte. Bei mir lief einfach ALLES entweder über Weiterempfehlungen oder über Penetranz meinerseits, wenn ich einen Kunden unbedingt haben wollte.


Was damals lief wie am Schnürchen, ist heute undenkbar. Die Notwendigkeit eines Onlineauftritts ist selbstverständlich geworden – und mit ihr die Illusion von Freiheit.

Der Algorithmus und das Vielfaltsparadox

Der digitale Raum bietet uns fantastische Möglichkeiten: Wir können heute selbstbestimmt unser Marketing betreiben, unsere Zielgruppe direkt ansprechen und unsere Inhalte nach dem eigenen Gusto so gestalten, dass sie uns und unser Angebot angemessen repräsentieren – ganz ohne teure Agenturen oder mühsame Kaltakquise. Uns stehen sämtliche Tools und Kanäle zur Verfügung, von Canva, Mailchimp & WordPress bis Insta, TikTok & X. Das ist eine große Freiheit. Doch gleichzeitig ist es ein neues Korsett.


Denn mit dem Zwang zur Sichtbarkeit kam auch der Zwang zur Einordnung. Die Algorithmen von Google, Insta, TikTok & Co drängen uns in Nischen, in denen wir uns vielleicht gar nicht verorten wollen. Algorithmen laufen über Interessengebiete. Je eindeutiger dein Angebot, umso besser erkennt der Algorithmus, welcher Zielgruppe, welchen Personen und damit potenziellen Kund:innen er dich vorschlagen soll. Mit anderen Worten: Je besser du in eine Schublade passt, umso größer deine Chancen auf Sichtbarkeit.

Der digitale Konformitätsimperativ und der Trugschluss der Authentizität

Plattformen wie Insta suggerieren uns auf den ersten Blick absolute Vielfalt und individuelle Freiheit in der Selbstpräsentation. Doch auf den zweiten und dritten Blick merken wir, dass es sich hierbei um einen Trugschluss handelt. Denn wenn du mit deinen Beiträgen erfolgreich sein, also vom Algorithmus bevorzugt behandelt und deiner Zielgruppe vorgeschlagen werden willst, musst du dich möglichst perfekt ins Schema F deiner Nische fügen. Das führt zu einer scheinbaren Vielfalt und Individualität, die bei genauerem Hinsehen jede Vielseitigkeit glattbügelt und jede Abweichung unsichtbar macht.

Du bist Künstlerin, aber auch Autorin? Hm.

Sängerin und Capoeira-Lehrerin? Schwierig.

Kreative, Künstler:innen, Mehrfachbegabte müssen sich dazu zwingen, klarer, schmaler, einfacher, unterkomplexer aufzutreten, als sie in Wahrheit sind und als es ihrer Profession und Person gerecht wird. Je vielseitiger du bist, umso mehr wirst du zur Blackbox – und uninteressant für die Logik von Algorithmus und Ausspielung. Obwohl die Welt nie komplexer war als heute, uns nie mehr Informationen, Inspirationen und Möglichkeiten zur Verfügung standen, werden wir vom digitalen Konformitätsimperativ in eine gänzlich monothematische Ausrichtung unserer Online-Präsenz gedrängt. Die dann aber bitte auch authentisch rüberkommen soll! Sei du selbst, heißt es – aber bitte gut kalkulierbar und in einem Feed-freundlichen Farbkonzept. Erwartbarkeit toppt Authentizität, Konformität schlägt Ecken und Kanten und Berechenbarkeit beschneidet Vielseitigkeit.

Ich bin nicht zu viel – ich bin viele. Genau wie du.

Keiner von uns ist ein One-Trick-Pony. Und keiner von uns sollte sich zu einem degradieren lassen, nur um dem Algorithmus und den Erwartungshaltungen einer Norm zu entsprechen, die ohnehin nichts anderes ist als ein errechneter Wert. Wir alle sind viele. Und wir alle können vieles! Teilweise sogar auf professionellem Niveau, denn die meisten Kreativen zeichnen sich nicht gerade durch einen schnurgeraden Lebensweg aus, sondern sind häufig verschiedenen Professionen nachgegangen und haben viele Interessensgebiete, denen sie mit Enthusiasmus und Eifer nachgehen. Und weißt du, was? Ich tanze auch noch! Und ich bin verrückt nach Wandern, Kanufahren und Abenteuern in der Natur! Und ja, vielleicht, wenn es irgendwann stimmig ist, werden auch noch diese Aspekte in mein professionelles Angebot einfließen. Why not? As long as it serves someone?

Das größte Glück meines kreativen Lebens

Das war das größte Glück meines kreativen Lebens: mich nicht länger zersplittern zu wollen. Und stattdessen den roten Faden zu erkennen, der meine verschiedenen Facetten zusammenhält, und zu sehen: Nein, ich bin nicht zu viel. Ich bin viele. Und am vollständigsten fühle ich mich, wenn alle Anteile gemeinsam tanzen dürfen. Mein Yoga-Ich, mein Künstlerinnen- und mein schreibendes Ich. Denn sie nähren, befruchten und beflügeln sich, greifen ineinander und heben einander empor. So ist furiosum entstanden. Es geht nicht darum, sich selbst zu beschneiden, Anteile abzuspalten, nur um in eine Schublade zu passen, die unser Außen beruhigt. Das wird unserem Innern nicht gerecht. Unser Inneres will wachsen, integrieren, ganz werden. Nicht nur persönlich. Sondern auch beruflich. Jedenfalls dann, wenn sich unser berufliches Wirken ein bisschen nach Berufung anfühlen soll und uns eine sinnstiftende Basis geben soll. Um das zu teilen, was wir zu geben haben.

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